Bayer Casino, Ingenieur-Verwaltung, das Sommerhaus

An keinem Ort ist dichter zu erleben, wie die Industrialisierung unsere Region beeinflusst hat. Und wie bedauerlicherweise ein herausragendes Gebäude abgerissen werden musste. In dem nun unbewohnten und fast verschwundenen Örtchen Hohenbudberg ist ein spannendes Stück Industriegeschichte am Rhein geschrieben worden.

Sehenswert ist das imposante Chemiewerk, seine ehemalige, aber erhaltene Ingenieur-Verwaltung, der Ort gegenüber an dem einmal das Casino stand mit schönem Blick auf den Rhein, und das letzte Haus des fast vergessen Hohenbudberg.

Geschichte und Hintergrund

(Siehe zur Einordnung auch Farbenfabrik Weiler Ter Meer)

1961 wird das Angestellten- Speisehaus, umgangssprachlich das Bayer Casino, oder Bayer Kasino, in Hohenbudberg erbaut. 1969 zudem gegenüberliegend das 11-stöckige Hochaus der Ingenieur- Verwaltung des Chemiewerks Uerdingen der Bayer AG. Beide Gebäude wurden vom Architekturbüro Hentrich, Petschnigg und Partner (HPP) gestaltet.

Bayer Angestellten- Speisehaus, Casino Uerdingen, Zustand nach der Stilllegung. Foto Quelle: Rudolfo42, Own work CC BY-SA 4.0, Link

Helmut Hentrich, in Krefeld geboren, war Sohn des in Krefeld durch seine weitreichenden Infrastrukturbauwerke zur Jahrhundertwende tätigen Baurats und Beigeordneten der Stadt, Hubert Hentrich. (u.A. Rheinhafen, Klärwerk, Brückenlandschaft Hauptbahnhof)

Nach Arbeitserfahrungen in Paris und New York machte Helmut Hentrich als junger Architekt im Arbeitsstab des Generalbauinspektors für die Reichshauptstadt Berlin Albert Speer Kariere und war Mitglied der NSDAP geworden. Er erbaute in diesem Zusammenhang u.A. das HJ-Heim im benachbarten Duisburg Rheinhausen (erhalten), siehe Bild im Fotoarchiv Marburg in der Deutschen Digitalen Bibliothek. Im Arbeitsstab zur Wiederaufbauplanung war er für seine Geburtsstadt Krefeld zuständig,

Dreischeibenhaus Düsseldorf, HPP, 1960 Quelle: Johann H. Addicks de.wikipedia -eigene Aufnahme CC BY-SA 3.0

Nach dem Krieg wandte er sich in Düsseldorf, umstritten aufgrund seiner Tätigkeiten in der NS-Diktatur, dem “Internationalen Stil” zu.

Hentrich war einer der kritisierten Architekten aus der NS-Zeit, um die im Düsseldorfer Architektenstreit Anfang der 1950er Jahre ein öffentlich ausgetragen Streit entbrannte. 1948 bis 1954 war in Düsseldorf Friedrich Tamms der Leiter des Stadtplanungsamtes und sorgte dort für die Beschäftigung eines Kreises von Architekten aus dem Umfeld der Wiederaufbauplanungen Albert Speers.

Eine Gruppen von jungen Düsseldorfer Architekten um Bernhard Pfau, die sich zum Architektenring Düsseldorf zusammengeschlossen hatten, leistete Widerstand und kritisierte vehement das Netzwerk nationalsozialistischer Entscheidungsträger, das in Düsseldorf weiterhin die Macht der Stadtplanung in ihren Händen behielt. Unter diesen Begünstigten waren neben Helmut Hentrich auch Konstanty Gutschow, Rudolf Wolters und Julius Schulte-Frohlinde, der ehemalige Architekt der Deutschen Arbeitsfront (DAF).

Hentrich selbst war ehrenamtliches Mitglied im Kulturausschuss der Stadt Düsseldorf und beteiligte sich aktiv an den Wiederaufbauplanungen für die Stadt. Sein Architekturbüro, nach dem Tod seines Büropartners Hans Heuser 1953 nun mit Hubert Petschnigg als Hentrich, Petschnigg und Partner (HPP) aktiv, baute repräsentative Banken und Verwaltungsbauten in der Düsseldorfer Innenstadt.

Durch den vermehrten Einsatz von Glas und Stahl erzielte HPP eine neuartige Sachlichkeit.

Das Büro HPP erschuf mit dem annähernd zeitgleich zum Bayer Casino in Uerdingen entstandenen Drei-Scheiben-Haus in Düsseldorf, erbaut für die Phoenix Rheinrohr AG – später Teil des Thyssen-Konzerns, ein ausserordentliches Gebäude, das weltweit bekannt wurde.

Auch das Casino in Uerdingen rief große Aufmerksamkeit hervor und wurde in der Folge, aufgrund seiner reduzierten und minimalistischen Formensprache, als eines der herausragenden Beispiele der Baukultur der 1960er Jahre bezeichnet.

“Alles, was bei dem Gebäude des Kasinos so selbstverständlich und leicht wirkt, ist das Resultat einer peniblen Durchplanung aller baulichen Details, die bewusst im Hinblick auf die gewünschte Wirkung entwickelt und ausgeführt worden sind”, schrieb Dr. Köhren-Jansen des LVR-Amt für Denkmalpflege im Rheinland im Bericht zum Denkmalwert des Gebäudes.

Das Architekturbüro HPP wurde in der folgenden Zeit verstärkt international aktiv und ist u.A. mit dem 1968 erbauten Standard Bank Centre in Johannesburg, als erstem Hochhaus in Südafrika, weltweit bekannt geworden.

HPP Architekten GmbH ist bis heute eines der großen weltweit tätigen Architekturbüros.

Angestelltenspeiseanstalt, das Bayer Casino

Von der äußeren Gestalt des Casinos lies sich die strenge hierarchische Trennung im Inneren, vorgenommen nach dem Rang der Mitarbeiter, nicht erkennen. Der größere Personalspeisesaal war von den flexibel nutzbaren Speise- und Konferenzräumen der Direktion, die selbstverständlich von Kellnern bedient wurden und den ungestörten Blick auf den Rhein hatten, abgetrennt.

Es existierten daher auch unterschiedliche Küchen für diese beiden Bereiche. Das Führungspersonal und deren Besucher verfügten zudem ebenerdig über eine Garderobe und Sanitärräume, während die Sanitärräume der einfachen Mitarbeiter im Untergeschoss angeordnet waren. Im Untergeschoss fand auch das Weinlager der Direktion einen kühlen Aufbewahrungsort.

Für die Mitarbeiter des Werks wurde das Casino als Urlaub aus dem Werksalltag wahrgenommen und sollte, als beabsichtigter Effekt, auch durchaus für eine positivere Wahrnehmung des eigenen Arbeitgebers sorgen. Der Standort am Rheinufer war daher sorgsam arrangiert worden und der freie Blick auf den Rhein, durch die großen Thermopane-Glasfronten, war eine der wesentlichen Wahrnehmungen für alle Besucher.

Das Gebäude war, nicht nur aus Sicherheitsgründen und aufgrund der besseren Luftqualität, am grünen Rheinufer ausserhalb des Werks gebaut worden. Es sollte damit auch der Zugang der weiteren Öffentlichkeit ermöglicht werden. So fanden im Casino beispielsweise öffentliche Musikveranstaltungen statt.

2020 Abriss des Bayer Casinos

Sommerhaus, im Hintergrund Bayer Casino

Erste Anzeichen dass die Bayer AG das Casino nicht weiter nutzen und nun gerne abreissen würde, sind durch den ersten Ortstermin am 25.01.2012 dokumentiert, bei dem der Denkmalwert gemäß § 2 (1) DSchG NW seitens der Denkmalfachämter erstmals in Augenschein genommen wurde.

Das Gebäude war derzeit kein Denkmal.

Am 09.08.2013 wurde jedoch ein Abbruchantrag für das Kasino-Gebäude (R 55) der ehemaligen Bayer-Werke, heute CHEMPARK Krefeld-Uerdingen, beim Fachbereich Bauaufsicht der Stadt Krefeld eingereicht.

Daher wurde am 31.8.2013 das Gebäude unter vorläufigen Denkmalschutz gestellt und das positive und umfangreiche Gutachten des LVR-Amt für Denkmalpflege im Rheinland zum Denkmalwert des Gebäudes lag am 27.01.2014 vor. Siehe: Das Gutachten

Für die Bayer Immobilienverwaltung, bzw. den nachfolgenden Eigentümer Covestro First Real Estate, sei der Erhalt der Erhalt des leerstehenden Casinos zu aufwendig, hieß es in Verlautbarungen zum Abrissantrag.

“Eine vollständige Sanierung würde rund zehn Millionen Euro kosten”,
schätzt ein Covestro-Sprecher.

Siehe dazu auch https://www.kulturwest.de/inhalt/gibt-es-eine-zukunft-fuer-das-krefelder-bayer-kasino-und-stadthaus/

Nach einem Rechtsstreit, bei dem primär die Wirtschaftlichkeit eines Erhalts anzweifelt wurde, entschied überraschenderweise das Verwaltungsgericht Düsseldorf den Abriss zu ermöglichen.

Dieser fast schon Präzedenzfall einer richterlichen Entscheidung zum Denkmalschutz hatte zur Folge, dass das Gebäude 2020 niedergelegt wurde.

Foto Abriss, Quelle:  © Steffen Schmitz (Carschten) / Wikimedia Commons / CC BY-SA 4.0, CC BY-SA 4.0, Link

Ingenieur-Verwaltung

Ingenieur Verwaltung,

Die Ingenieur- Verwaltung, genau gegenüber dem Casino war, vielleicht als Zeichen der Wertschätzung der intellektuellen Tätigkeit der Ingenieure, 1969 von HPP als 11 stöckiges Hochaus errichtet worden.

Der Blick aus den Etagen, über das gegenüber der Straße liegende Casino hinweg, führt aus drei Fassadenseiten auf den Rhein. Die Konstruktion des Gebäudes mit Glasfassade und den aussenliegenden Stahlstützen wurde von HPP, wie auch beim Casino geschehen, detailliert und bis in das letzte Detail durchdacht.

Im Kern des Gebäudes wuchsen die Fahrstühle, Treppen und Technikleitungen über die Etagen nach oben, sodass der Aufbau und die Raumgestaltungen der einzelnen Etagen frei arrangierbar blieb und durch temporäre Wände umgestaltet werden konnten.

Eine ausgeklügelte Lüftungstechnik war eigens integriert worden, da Gerüche aus dem Werk und die nicht zu öffnenden Thermopane-Fenster kompensiert werden sollten.

Erhalt

Die Ingenieur-Verwaltung steht aufgrund von bisher nicht begonnenen Brandschutz- Nachrüstungen seit einigen Jahren leer, auch bei diesem Gebäude ist somit der Erhalt als gefährdet anzusehen.

Das sogenannte „Sommerhaus“ war, neben dem Friedhof und der heute einsamen Kirche Hohenbudberg gelegen, das letzte verbliebe historische Wohnhaus im gesamten Ortsteil Uerdingen-Hohenbudberg. 

Aus Perspektive der Industriekultur stellte es ein wesentliches Detail aus der Geschichte der Chemieindustrie im Rheinland dar.

Der Gründer des heutigen “Chempark Uerdingen” Edmund ter Meer verbrachte als junger Mann mit seiner und anderer Familien aus Krefeld die Sommerfrische in Hohenbudberg am Rhein. Im zu diesem Zweck war vom nebenan ansässigen Gastwirt “Schmitz-Neppes” das Sommerhaus erbaut worden. (Die Wirtschaft ist nicht erhalten)

Nachdem Ter Meer als Sohn eines Krefelder Seidenwebers Chemie studiert hatte und ein Praktikum bei der Badischen Anilin und Soda Fabrik in Ludwigshafen B.A.S.F. verbracht hatte, reifte sein Entschluss eine eigene Anilinfarbenfabrik nicht in der Stadt Krefeld zu gründen – wie sein eigener Onkel es ihm bereits vorgemacht hatte – sondern er wählte als Standort den Rhein in Hohenbudberg. Mehr zur Geschichte des Chemiewerks lesen

Sämtliche Wohnhäuser des Ortsteils Hohenbudberg wurden nach und nach durch das sich ausdehnende Chemiewerk aufgekauft und abgerissen. Nur das ca. 1871 erbaute Sommerhaus überlebte bis 2025.

Das Ende des Sommerhauses

Das Sommerhaus ist am 11. März 2025 und somit nach über 150 Jahren durch die Chemieindustrie Chempark-Uerdingen und nach erteilter Genehmigung des Bauamtes der Stadt Krefeld, auf Wunsch des Eigentümers, abgerissen worden.

Die Behörde berief sich bei der Entscheidung den Abriss zu genehmigen auf das Gerichtsverfahren “Bayer Casino”, sowie einer fehlerhafte Unterschutzstellung des Baudenkmals. Nach Akteneinsicht hatte der Eingriff eines Dezernenten der Stadtverwaltung in die schriftliche Beantwortung eines Widerspruchs der Eigentümer zur Unterschutzstellung als Baudenkmal, der in enger Absprache und Abstimmung mit der Werksleitung erfolgte, über Jahrzehnte das Verfahren in der Behörde ruhen gelassen. Dadurch sei das Baudenkmal nicht wirksam in die Denkmalliste eingetragen worden.

Das Chemiewerk äußerte sich bisher nicht öffentlich zum Vorgang, den eigenen Mitarbeitern gegenüber wurden allerdings, so Stimmen aus dem Werk, statische Gründe und eine “nicht Verwendbarkeit” des Baudenkmals aufgrund der Lage nahe einer Störfall-Anlage genannt. (siehe auch https://de.wikipedia.org/wiki/Richtlinie_2012/18/EU_(Seveso-III-Richtlinie))

Welche Beweggründe tatsächlich zum Abriss des Haus führten, ist schleierhaft.

https://www.wz.de/nrw/krefeld/stadtteile/uerdingen/zeitreise-nach-hohenbudberg_aid-29512499

https://www.wz.de/nrw/krefeld/stadtteile/hohenbudberg-ein-verschwundenes-dorf_aid-29783169

https://www.horst-peterburs.de/galerie-hohenbudberg.htm

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HPP Architekten GmbH